Der Körper als Ort der Schmerzen – Die »Performing Art« Marina Abramovićs und Robert Wilsons als Arbeit an der Erinnerung des Körpers

##plugins.themes.bootstrap3.article.main##

##plugins.themes.bootstrap3.article.sidebar##

Veröffentlicht Jan. 1, 2024
Stephan Engelhardt

Abstract

Marina Abramović fügt sich Schmerzen zu. Sie schneidet sich, peitscht sich aus, kämmt sich, bis sie blutet und wir als Publikum schauen zu. Diese körperlichen Torturen sind echt und finden als Performance in einer Galerie statt. Marina Abramović ist die Darstellerin, und wir das Publikum. Dieses symbolische Geschehen folgt einer sozialen Übereinkunft und kann nicht mit der alltäglichen Wirklichkeit verwechselt werden. Was machen diese beobachteten schmerzhaften körperlichen Vorgänge mit uns? In der primären mimetischen Resonanz fühlen wir für einen Moment den Schmerz so, als wenn er unser eigener wäre. Die Sprache des Körpers wird durch ein physisches Nachempfinden dechiffriert. Der Körper ist der Ort, die mimisch-gestischen Ausdrucksmöglichkeiten seine Sprache. Die Schmerzen als Mitteilungen werden ohne Worte verstanden. Auf der körperlichen Ebene ermöglicht die mimetische Resonanz eine unmittelbare Interaktion. Alle Beteiligten sind für einen Moment miteinander verbunden und teilen ein gemeinsames Gefühl. Die schmerzhaften körperlichen Vorgänge der Marina Abramović lösen als Foto oder Film bei uns eine vergleichbare Reaktion aus. Wir reagieren in der sekundären mimetischen Resonanz so, als wenn das Abbild des selbstverletzenden Spiels eine konkrete physische Realität wäre.

Robert Wilson erzählt in der Oper »The Life and Death of Marina Abramović« die Biografie der Künstlerin. Aus der traumatisierenden Kindheit, der künstlerischen Arbeit mit ihrem Körper macht er ein Theaterstück. Die physischen Vorgänge werden nicht direkt wiedergeben, sondern in ein abstraktes Zeichensystem aus Licht, Bewegung, Worten und Musik überführt. Die schmerzhaften Gefühle werden in die Sprache der theatralen Bühnenillusion übersetzt. Als betrachtende Person ergänzen wir das Gesehene, imaginieren das Dargestellte weiter und folgen der Erzählung der Schmerzen, als wäre es ein Traum und das von uns Weiterimaginierte konkret. In dieser imaginativen tertiären mimetischen Resonanz erleben alle gemeinsam auf eine mittelbare Weise einen Moment einer intensiven Gegenwart. Diese drei unterschiedlichen Formen der mimetischen Resonanz finden im therapeutischen Prozess zufällig statt oder werden in der Methode der szenischen Imagination mit Absicht herbeigeführt.
In einer medial geprägten Wirklichkeit, in der die Zeichen auf keine konkreten Erfahrungen mehr verweisen und so bedeutungslos werden, schafft diese unmittelbare physische Erfahrung und das Wiedererleben einer physischen Erfahrung, die einmal tatsächlich gesammelt wurde, eine verlässliche Wirklichkeit im Hier und Jetzt. So wird der Körper zum Ort, um etwas neues denken zu können.

Zitationsvorschlag

Engelhardt, S. (2024). Der Körper als Ort der Schmerzen – Die »Performing Art« Marina Abramovićs und Robert Wilsons als Arbeit an der Erinnerung des Körpers. Imagination, 46(1-2), 119–139. https://doi.org/10.24989/imagination.v46i1-2.09

Downloads

Keine Nutzungsdaten vorhanden.
Abstract 19 | pdf Downloads 0

##plugins.themes.bootstrap3.article.details##

Keywords

Szenische Imagination, mimetische Resonanz, Bearbeitung der Szene, nonverbale Interaktion, Ausdruck des Körpers, Erinnerung des Körpers, Erinnerung der Schmerzen

Rubrik
Artikel